Hoffnungsbrief Nr. 63
Eingang: 10.06.2021, Veröffentlicht: 11.06.2021
Liebe Gemeinde,
wo finden Sie sich selbst und Ihre Mitte wieder? Ist es ein Ort oder ist es eine Tätigkeit? Für mich gibt es den Ort, an dem ich mich zugleich üben kann im Handwerk der Schöpfung. Wo ich sozusagen Hand anlegen und etwas selbst gestalten kann. Es ist mein Garten. Es gibt dort immer etwas zu tun: Boden auflockern, Unkraut jäten, mähen oder einfach nur Blumen pflücken. Mal ist etwas zu schneiden oder anzubinden, damit es nicht abknickt oder andere Pflanzen verschattet. Jeden Tag mache ich im Garten meine Runde. Außerdem kommen mir im Garten die besten Einfälle, was ich Ihnen z. B. heute schreiben kann. Meine Kollegin, an die ich in diesen Tagen sehr denke, hat neulich so schön ihre Gartenerfahrungen mit dem Fazit geschlossen “irgendetwas wächst immer”. In der Tat ist es nicht alle Jahre gleich. Die kühle und nasse Witterung erinnert an frühere Jahre, als der Klimawandel noch unbekannt war. Aber es ist im Leben ja auch sonst so, dass man es nehmen muss wie es kommt. Die Kunst des wahren Lebens ist stets die, das Bestmögliche aus dem Gegebenen zu machen.
Weil man lange Zeit nicht so einfach wegfahren konnte, haben manche Leute wieder angefangen, mehr Zeit im Garten und in der heimischen Natur zu verbringen. Nie habe ich so viele Spaziergänger getroffen - ältere und jüngere - wie in den letzten Monaten. Das möchte ich beibehalten, auch wenn ich mich auch auf neue Reisemöglichkeiten freue.
Mein Garten ist meine unmittelbare Umgebung, die ich jeden Tag genießen und gestalten kann. Andere Gegenden sind mir nicht täglich zugänglich. Man kann sie nicht immer ansehen und vergleichen, wie es dort jetzt aussieht. Es ist nur eine Momentaufnahme wie bei einem Foto. Eine lebenslange Begleitung ist nur in größeren Abständen möglich. Man kann zwar geliebte Ferienorte wiederbesuchen, aber meine tägliche Gartenrunde ist anders.
Sie verbindet meine Seele mit der Scholle der Vorfahren. Sie bedarf meines täglichen Einsatzes. Nie ist etwas ein für allemal erledigt und für immer getan. Es gibt vieles, was mehrmals im Jahr zu tun ist wie mähen, harken und fegen. Es gibt Wiederholungen, aber auch Neuanfänge. Im Leben interessieren ja meistens die Dinge, die einen neuen Anfang bieten. Dazu gehört mein Glaube. Er ist nicht immer gleich, sondern jede Lebenserfahrung, Gutes wie weniger Gutes, prägen ihn. Der heutige Wochenspruch versammelt uns diesen Sonntag wieder in der Kirche: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Wie eine Gartenterrasse bietet mir meine Kirche einen Platz zum Rasten wie zum Tätigsein an. Jesus wirbt um uns: Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.
Das Wort Joch ist ja eher für das Gegenteil bekannt. Schwere Wassereimer trug meine Urgroßmutter an einer Jochstange. Jeder Tropfen Wasser für Mensch und Vieh musste aus dem Brunnen gezogen und getragen werden, ehe im Haus 1953 fließendes Wasser gelegt wurde. Inzwischen habe ich diesen Brunnen reaktiviert mit einer Schwengelpumpe, sodass ich immer genug Wasser zum Gießen meiner Blumentöpfe habe, die vor und neben der Hauswand stehen. Mit der Pumpe geht das viel leichter als zu Zeiten meiner Urgroßmutter. Wie viel leichter und bequemer unser Leben heute ist verglichen mit dem unserer Vorfahren, das kann mich schon sanftmütig und von Herzen demütig machen. Was über mancher Kirchentür steht, enthält auf jeden Fall eine sonntägliche Erfahrung: lass dich erquicken. Um den Alltag nicht zu geruhsam und zu langweilig werden zu lassen, dafür ist mein Garten auch gut. Bewegung und Ausruhen hat seinen Platz. Einen schönen Sommersonntag im Garten wünscht Ihnen
Ihr Pastor Cornelius Meisiek
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