Diese schöne Weihnachtgeschichte hat Friedrich Wöbekind für sie ausgesucht.
Paula überlebt Weihnachten
von Barbara Pronnet
Auf einem kleinen Bauernhof, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, lebte noch der alte Hund Bello, die Kuh Frieda, Kater Max und die Gans Paula.
Als Paula geboren wurde, bedauerte sie bald kein Schwan geworden zu sein. Sie putze sich pausenlos ihre weißen Federn, fraß nur die Hälfte des grässlichen Futters und achtete streng auf ihre Linie, indem sie jeden Tag einen strammen Marsch um den Hof watschelte. Sie war eitel und vornehm.
Eine arrogante Gans, ein Möchte-Gern-Schwan eben.
Das missfiel natürlich auch der Bäuerin.
“So a dürres Vieh mog koana zu Weihnachten” schimpfe sie bereits letztes Jahr im Stall bei der Fütterung, als sich die anderen Gänse auf die alten Kartoffelschalen stürzten.
Paula saß hochschnäbelig auf einer alten Holzkiste und schaute verachtend
ihren Artgenossen beim Schlemmen zu.
Das wird euer Todesurteil, ihr dummen Gänse. Paula erinnerte sich noch gut. Die Gänse bekamen in der Zeit besonders viel zu fressen und als es immer kälter wurde und zu schneien begann, waren die Gänse plötzlich weg. Der rotgesichtige Bauer, er lebte damals noch, packte sie an den Hälsen und steckte sie in eine Transportkiste und fuhr mit ihnen weg. Eine dicke besonders dumme Gans,
Paula konnte sie nicht ausstehen, wurde in die Küche gebracht und als der Christbaum geschmückt
in der Ecke stand, lag diese bereits knusprig braun gebraten in dem Bräter auf dem Herd.
Mit mir nicht, beschloss Paula darauf und zog ihr strenges Fitnessprogramm gnadenlos durch.
Jetzt stand wieder Weihnachten vor der Tür. Es wurde kalt und es roch nach Schnee. Die alte Bäuerin lebte alleine auf dem Hof und kümmerte sich mehr schlecht als recht um das Gehöft und die Tiere.
Sie hustete zum Steinerweichen. Der Kater hatte sich längst auf dem Nachbarhof niedergelassen
und kam nur noch sporadisch vorbei.
Paula spürte die Gefahr. Weihnachten war ein Fest des Grauens für Gänse.
Die Bauersfrau hatte ihr gestern das Fressen gebracht und sie genau beäugt.
“Diesmal bist fällig, für mich reichts, du depperte Gans” und verließ hinkend den Stall.
“Brings hinter dich” knurrte der alte Hund und schlief wieder ein. Die Kuh fraß wortlos ihr Heu und schaute Paula mit traurigem Blick an. Es war auch wirklich kein Vergnügen mehr. Ihre Artgenossen fehlten ihr, auch wenn Paula das ungern zugab. Sie fror unter ihrem Federkleid. Eine schlanke Figur war im Winter ein Fluch. Eine schlimme Zeit kam auf sie zu und sie fühlte ihr nahes Ende.
Am nächsten Morgen hörten die Tiere das Husten der Bäuerin bis in den Stall.
Die erstickt sicher bald, dachte Paula und schämte sich für ihre Gedanken. Was sollte denn aus
den anderen werden? Sie selber wurde sicher vorher noch verspeist und hatte es überstanden.
Sie hörten plötzlich die alte Bäuerin reden, krächzend und schnell. Dann wieder dieser schlimme Husten. Im Stall war es vollkommen still. Bello und Frieda warteten auf ihr Fressen
und Paula auf ihren Gang zum Schafott in den Bräter.
Nach einer Ewigkeit kam ein Auto mit Blinklampe und machte einen Höllenlärm. Paula watschelte
zu der offenen Stalltür und sah wie eine Frau und zwei Männer der Bäuerin in den Wagen halfen.
Dann verließ das Auto den Hof in Windeseile.
“Sie ist weg” sagte Paula zu den anderen. “Naja die kommt sicher gleich wieder, so zäh wie die ist.”
Sie warteten den Nachmittag und die ganze Nacht. Am nächsten Morgen
verspürte sogar Paula leichten Hunger.
“Ich schau mal nach”. Paula verließ den Stall und sah, dass die Tür zum Haus angelehnt war. Neugierig spähte Paula hinein in die gute Stube. Auf dem großen Holzofen thronte der Bräter.
Der Sarg steht also schon da. Eigentlich kann ich schon mal Probesitzen, dachte sie grimmig.
Galgenhumor war schon immer Paulas Stärke und sie flatterte auf den Tisch und hüpfte rüber auf den Herd. Wenigstens hatte die Alte ihn schön geputzt. Paula graute vor Dreck. Zumindest will ich hübsch sterben, dachte sie und stieg vorsichtig in den Bräter. Erhaben und stolz blickte Paula von oben herab durch die Wohnstube und ihr kleines Gänseherz begann auf einmal heftig zu schlagen.
Soviel Entbehrung und Kasteiung hast du dir angetan und jetzt wirst du doch sterben wie alle anderen. Die Alte kam sicher mit einem Mordshunger nach Hause und warum sollte ich sie nicht überraschen? Sie kann mir gleich hier den Hals umdrehen und ich habe zumindest noch
meinen Triumph und zeige ihr meinen Mut.
Paula fühlte sich sehr schlecht und müde. Das alles war auch wirklich der Horror. Sie schloss
ihre Augen und begann einzudösen. Sie träumte von einem herrlichen blauen See und
sah sich mit wunderschönen Schwänen darin schwimmen. Es war wie im Märchen.
Paula hörte nicht den Wagen der in den Hof fuhr. Eine Frau, ein Mann und zwei kleine Mädchen stiegen aus und gingen zu dem Haus. Sie betraten die Stube und in diesem Moment wachte Paula auf.
Sie erstarrte, konnte sich vor lauter Schreck nicht rühren. Der Familie ging es wohl genauso,
denn sie schauten auf die Gans im Bräter und konnten es nicht fassen.
Doch dann lachten sie alle schallend und konnten nicht mehr aufhören.
“Sie dir das an” sagte die Frau mit Tränen in den Augen
zu ihrem Mann ”der Weihnachtsbraten begrüßt uns schon”.
Die vier kamen vorsichtig auf Paula zu und der Mann sagte freundlich:
“Keine Angst, kleines Gänschen. Wir machen uns nix aus Fleisch, bei uns gibt’s Fisch zum Fest. Und so schlank und pfiffig wie du bist, behalten wir dich als Unterstützung für Bello.”
“Die Oma ist im Krankenhaus und muss dann ins Heim und wir wohnen jetzt hier und kümmern uns um den Hof” sagte eines der Mädchen und streichelte vorsichtig Paulas zitterndes Federkleid.
Paula erlöste sich langsam aus ihrer Starre, stieg schnell aus dem Bräter und flatterte in Richtung Ausgang. Ihr hatte es die Sprache verschlagen. Schnell huschte sie zurück in den Stall und
fiel dort vor den anderen in eine gnädige Ohnmacht.
“Siehst du, nix Fressen ist schlecht für die Nerven” knurrte Bello zu Frieda und schlief wieder ein.
Am Heiligen Abend, der Stall war gereinigt, die Tiere gefüttert, hörten diese plötzlich ein Singen:
“Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit”.
Paula wurde neugierig. Sie ging zu dem Haus und sah durch das kleine Fenster. Die Familie saß am Tisch und verzehrte ihre Forellen mit Kartoffelsalat. Sie lachten und ließen sich
das gute Essen schmecken. Ein herrlich geschmückter Christbaum funkelte in der Ecke.
Eine nette Familie ist das, vor allem sind alle so schlank, dachte Paula zufrieden.
Weihnachten ist eigentlich schön, besonders wenn man es erleben darf, freute sie sich.
Sie hatte heute eine Ausnahme gemacht und das hochwertige Futter, welches ihr gereicht wurde, komplett aufgefressen. Ein kleiner Rundgang um den Hof ist sicher gut
für die Verdauung und sie konnte gleich noch nach dem Rechten sehen.
Paula schüttelte zufrieden ihr weißes Federkleid, streckte ihren langen Hals und watschelte stolz durch die sternenklare stille Winternacht in eine glückliche Zukunft.
Wir danken
Barbara Pronnet für die freundliche Genehmigung ihre Geschichte veröffentlichen zu dürfen.
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