Hoffnungsbrief Nr. 30
Eingang: 14.10.2020, Veröffentlicht: 14.10.2020
Liebe Gemeinde!
Ja, es stimmt: Puppu hat schon bessere Tage gesehen. Zumindest sah sie schon mal besser aus: Vor etwas mehr als zehn Jahre, als meine Nichte sie zur Geburt bekommen hat. Da war sie ganz neu, mit einem hübsch aufgemalten Gesicht und einer Hose ohne Laufmaschen und Löchlein. Seitdem musste sie schon einige Male in Tante Annes Puppu-Werkstatt und ist inzwischen mehrfach runderneuert worden. Neue Hose, neue Hände, neues Gesicht - und beim letzten Werkstattbesuch ist auch die Füllung etwas entklumpt und der Kopf wieder vernünftig am Körper befestigt worden. Wie neu ist sie dadurch nicht geworden, aber wenigstens sieht sie nun nicht mehr wie eine kleine Zombie-Puppu aus. Puppu wird halt geliebt, heiß und innig, und Liebe hinterlässt immer Spuren.
In meiner tiefenpsychologischen Langzeitfortbildung habe ich gelernt, dass Puppu ein Übergangsobjekt ist. Diese Puppu und alle anderen Puppus, Bärchen, Pferdies, Elfies und wie sie alle heißen. Puppu hilft, den Übergang zwischen Tag und Nacht, zwischen Zusammensein und Alleinsein, zwischen Wachen und Schlafen zu meistern. Immer, wenn das Leben kompliziert wird, wenn Änderungen bevorstehen oder Krisensituationen zu bewältigen sind, hilft Puppu - einfach nur, indem sie da ist. Das macht Mut, tröstet und schenkt die Zuversicht, dass am Ende alles gut ausgeht, auch wenn es für den Augenblick nicht so aussieht. Manchmal bedauere ich es, dass es keine Puppus für Erwachsene gibt. Irgendetwas, das man in die Hand nehmen oder auch einem anderen in den Arm drücken kann, wenn es Not tut. Wenn das Leben wie ein Berg erscheint, der kaum zu bewältigen ist.
Für manche Umbruchsituationen im Leben haben wir in der Kirche Rituale entwickelt. Die Taufe, die ja heute meist am Beginn eines Lebens steht, wenn zwei Menschen Eltern werden und damit eine riesen Verantwortung schultern. Oder die Konfirmation, an der Schwelle des Erwachsenwerdens, die Trauung am Beginn eines gemeinsamen Lebens. Und natürlich die Beerdigung, wenn man loslassen muss, was man eigentlich festhalten will. All die Momente, in denen die Liebe Spuren hinterlässt in unserem Leben und manches Mal auch Einschnitte so tief wie Krater. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Gott diese Rituale nicht braucht. Weder braucht er eine Taufe, damit er einen Menschen als sein Kind annimmt, noch braucht er eine Beerdigung, um einem Menschen einen Platz einzuräumen in seiner Ewigkeit. Aber wir Menschen, wir brauchen diese Rituale. Weil sie Mut machen. Weil sie trösten. Weil sie die Zuversicht schenken, dass alles gut sein wird, irgendwann.
Es ist schön, dass wir für die großen Umbruchsituationen im Leben solche Rituale haben. Auch wenn Menschen sonst kaum Kontakt zur Kirche haben, kommen sie in solchen Momenten zu uns. Dann, wenn das Leben sie vor große Herausforderungen stellt. Und es ist schön, in solchen Momenten für Menschen da sein zu können. Das habe ich von Puppu gelernt: dass es eigentlich nicht darum geht, etwas Großartiges zu machen - sondern einfach nur darum, da zu sein. Da zu sein für einen anderen Menschen, dafür braucht man kein Studium, weder ein theologisches noch ein psychologisches. Das kann jeder, der ein offenes Herz für Menschen hat. Und vielleicht ist das die beste Antwort auf die Herausforderungen dieser besonderen Zeit: Dass wir einfach nicht aufhören, füreinander da zu sein, auch wenn wir aus Sicherheitsgründen Abstand zueinander halten müssen. Sicher wird das auch Spuren hinterlassen - Spuren der Liebe, und was kann es Schöneres geben?
Herzlichst, ihre Zwischenzeitpastorin
Anne-Christin Ladwig
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