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Hoffnungsbrief Nr. 29

Eingang: 07.10.2020, Veröffentlicht: 07.10.2020

Hoffnungsbrief Nr. 29
Liebe Gemeinde!

Ein Gottesdienst in der Tagesförderung in Betheln: Die Menschen mit Beeinträchtigung, die mit mir diesen Gottesdienst feiern, stellen Blumen in eine Vase. Jede Blume steht für etwas, worüber sie sich freuen und wofür sie Gott danke sagen wollen. Oft sind das nur Kleinigkeiten: Dass die Sonne scheint. Dass sie mit einer Betreuerin beim Schwimmen waren. Dass das Frühstück gut geschmeckt hat. Und für jedes Dankeschön singen wir gemeinsam ein Halleluja: Lobt Gott!

Ich bin ein bisschen beschämt. Diese Dinge, die dort genannt werden - die nehme ich alle als selbstverständlich hin. Ich würde nicht auf die Idee kommen, Gott dafür so ausdrücklich zu danken. Eigentlich, überlege ich, kommt das Danken bei uns in den normalen Gottesdiensten ohnehin viel zu kurz, wenn man mal vom Erntedankfest absieht. In der Tagesförderung dagegen hat das Dankesagen in jedem Gottesdienst einen festen Platz. Es ist ein immer wiederkehrendes Ritual, und solche Rituale sind wichtig, besonders für Menschen mit Beeinträchtigung. Das Vertraute gibt ihnen Raum, sich zu beteiligen. Das macht allen Freude, auch mir-weil ich dabei so viel lerne; über diese Menschen und auch über das Leben.

Dann kommt ein Mann nach vorne. Er nimmt eine der roten Zinnien, die ich aus dem Garten mitgebracht habe, und steckt sie vorsichtig ins Wasser. Er sagt: “Ich freue mich, dass hier alle nett zu mir sind!” Es ist zu spüren, dass das nicht selbstverständlich ist für ihn. Er kennt es auch anders. Er weiß, dass Menschen nicht immer nett miteinander umgehen. Gerade Menschen, die nicht der Norm entsprechen, die uns in ihrem Aussehen oder Verhalten fremd erscheinen oder bei denen man hört, dass sie nicht von hier kommen-gerade solche Menschen werden oft unfreundlich oder herablassend behandelt.

Dass das mit dem Zwischenmenschlichen auf unserer Welt nicht immer gut läuft, davon singen auch Andreas Bourani und Sido in ihrem Lied “Astronaut”. Je weiter sich der Astronaut von der Erde entfernt, desto mehr verschwimmen dann aber die Unterschiede zwischen den Menschen. Und wenn man den ganzen Streit und das ganze Gegeneinander nicht mehr erkennen kann, erscheint die Erde doch als wunderschöner Planet: “Beim Anblick dieser Schönheit fällt mir alles wieder ein - sind wir nicht eigentlich am Leben, um zu lieben und zu sein?” - so singen sie.

Dass wir einander lieben sollen ist ein Gedanke, den wir bereits im Alten Testament finden. Wahrscheinlich war schon damals die Praxis eine andere - sonst hätte man es ja nicht extra betonen müssen. Und jetzt, in den Coronazeiten, fällt mir das besonders auf: wie Menschen manchmal angeblafft werden, weil sie vergessen haben, ihre Maske aufzusetzen. Vielleicht haben sie ja sogar auch ein Attest und sind von der Maskenpflicht befreit, das kann doch keiner wissen. Klar, ich bin auch dafür, dass wir einander schützen, indem wir Masken tragen - aber aus lauter Angst so unfreundlich zu werden, das ist gewiss keine Lösung.

Freundlich und wertschätzend miteinander umzugehen, fällt offensichtlich nicht immer leicht, gerade wenn die Nerven mal blank liegen. Trotzdem ist es für mich immer noch ein erstrebenswertes Ziel: dass wir Menschen liebevoll miteinander umgehen - oder eben nett zueinander sind, wie der Herr aus der Tagesförderung das sagen würde. Einfach nur nett zu sein kostet mich nichts - aber es kann für einen anderen Menschen sehr kostbar sein. Dem Mann aus der Tagesförderung zumindest war es eine Blume und einen Dank wert.

Herzlichst, ihre Zwischenzeitpastorin
Anne-Christin Ladwig
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