Hoffnungsbrief Nr. 21
Eingang: 12.08.2020, Veröffentlicht: 12.08.2020
Liebe Gemeinde,
Platz da! Kennen Sie Elliot das Schmunzelmonster? Diese Geschichte über den kleinen Pete, der als Pflegekind von der schrecklichen Familie Gogan ausgebeutet wird und der als einzigen Freund einen Drachen hat? Für die meisten Menschen unsichtbar, ist der Drache Elliot immer bei Pete und beschützt ihn. Als aber eines Tages doch jemand den Drachen sieht, soll er aus dem Dorf gejagt werden, denn: ein Drache im Dorf – das geht gar nicht! Aber Pete und seine neue Freundin Nora verteidigen Elliot und singen das wunderbare Lied: “In dieser Welt ist für jeden Platz, wenn jeder sich Mühe gibt...”
In dieser Welt ist für jeden Platz – schön wär’s. Die Ansage lautet heute wohl eher: “Platz da, hier komme ich!”. In unserer Gesellschaft ist offensichtlich nicht genug Platz da für alle. Die Angst, dass jemand anderes etwas bekommt, was ihm “nicht zusteht”, und es dann am Ende für einen selbst nicht mehr reicht, ist groß. Auch wenn die meisten Menschen hier genug haben – Luft nach oben ist immer, und dann wird den Flüchtlingen das Handy geneidet und den Eltern behinderter Kinder der Therapiestuhl für den Kindergarten.
Räumlich gesehen ist jetzt, in Corona-Zeiten, manchmal wirklich nicht genug Platz da für alle. Nicht genug Platz für alle, die man bei einer Familienfeier gerne dabei hätte. Nicht genug Platz für alle Taufgäste oder all die, die gerne Abschied nehmen würden von einem lieben Menschen. Das stellt uns tatsächlich noch einmal vor ganz neue Herausforderungen. Wir müssen uns darin üben, Rücksicht zu nehmen , vor Allem auf die sogenannten Risikogruppen, die ja nicht nur aus älteren Menschen bestehen, sondern auch aus denen, die eine Vorerkrankung haben oder auch aus Menschen mit Behinderung. Familien mit schwerstkranken Kindern mussten sich total zurückziehen aus dem öffentlichen Leben in den vergangenen Monaten, und eine Normalisierung ist noch lange nicht in Sicht. Das ist so traurig, besonders, weil es noch längst nicht selbstverständlich ist, dass diesen Kindern überhaupt ein Platz in unserer Gesellschaft eingeräumt wird. Und nun werden sie wieder an den Rand gedrängt - übrigens auch durch solche Menschen, die es als eine Zumutung empfinden, sich selbst einzuschränken, um besonders gefährdete Menschen zu schützen.
“Platz da!” Ich wünsche mir eine Welt, in der jemand ganz laut ruft: Es ist Platz da! Platz für alle Menschen, die kleinen und großen, die lauten und leisen, die angepassten und die schräg-bunten, die “normalen” (was auch immer normal ist) und die mit besonderen Bedürfnissen. Ich wünsche mir Menschen, die Platz machen, wenn ihnen jemand entgegenkommt, statt den eigenen Platz verbissen zu behaupten – auch wenn man ihn eigentlich gar nicht braucht, nur so aus Prinzip.
Menschen, die genau hinschauen, die sich auf Begegnungen einlassen und sich durch diese Begegnungen verändern lassen.
Ja, Dinge ändern sich – auf der Welt, in unserer Gemeinde und in mir selbst, wenn ich Platz mache für die, die manche gerne an den Rand schieben würden. Aber Veränderung ist nicht schlimm – sie macht das Leben erst lebendig!
Herzlichst, Ihre Zwischenzeit – Pastorin
Anne-Christin Ladwig
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