9,5 Thesen von Pastor Podszus in der Winterkirche in Coppengrave
Eingang: 09.02.2020, Veröffentlicht: 11.02.2020
Die Winterkirche in Coppengrave bildete den Abschluss der Themenreihe "Zwerge auf den Schultern von Riesen". Martin Luther war das Thema. Da Martin Luther selbst im Lutherjahr ausführlich behandelt wurde, blickte Pastor Podszus in die Zukunft und stellte 9,5 Thesen auf, die auf den Erfahrungen seines Pastorenlebens beruhen. Da er im Gottesdienst die Thesen in sportlichen vierzig Minuten referierte, besteht hier die Gelegenheit in Ruhe die Thesen nachzulesen. Vielen Dank an Pastor Podszus für die zur Verfügungstellung seiner Ausführungen.
Die Thesen lauten:
1. These: In der Krise die Chance erkennen
"Die Kirche ist in der Krise". Dem Satz würde auch Luther zustimmen. Und was folgte, war die Erneuerung der Kirche."Die Kirche ist in der Krise". Dem Satz werden auch heute alle diejenigen zustimmen, die die Kirche lieben, die an ihr leiden und die auch mit ihr leiden.
"Kirche im Umbruch" heißt die jüngste Studie der EKD: Das Ergebnis: bis 2060 wird sich die Zahl der Mitglieder halbieren. Dafür mag es viele Gründe geben, auch demographische Gründe: Es sterben mehr Menschen, als geboren werden. Wandel in der Bevölkerung. Doch genau das reicht als Begründung bei weitem nicht aus. Tatsache ist: Die Kirche erreicht die Menschen nicht mehr. Eine groß angelegte Milieustudie fragte nach der Bedeutung von Religion und Kirche. Das Ergebnis: Von 10 Milieus unserer Gesellschaft erreicht die Kirche nur zwei bis drei.
Noch gewichtiger als die"Relevanzkrise" der Kirche (also die Krise der"Bedeutsamkeit") ist die"Identitätskrise" der Kirche: Die Kirche droht ihren Markenkern zu verlieren. Der frühere EKD Ratsvorsitzende Wolfgang Huber prägte den Begriff der"Selbstsäkularisierung der Kirche".
In einem katholischen Nachrichtendienst fand ich den Satz:"Nicht der Missbrauch und der Umgang mit ihm ist es, der den Aufbruch behindert, sondern die Selbstsäkularisierung der Kirche. Das Betteln um gesellschaftliche Anerkennung wird die Kirche aber nicht retten."
Es geht kein Weg vorbei an der Erkenntnis: Die Krise der Kirche ist auch hausgemacht.
Man sollte darum nicht zu schnell von der"Chance" reden", die in jeder Krise enthalten ist. Das wäre zu simpel, zu durchsichtig und vielleicht sogar ein wenig zynisch. Eine Krise ist eine Krise. Sie birgt Risiken, oft erhebliche Risiken, aber - sie birgt eben auch - Chancen.
Jede Lebenskrise birgt die Chance, bisher ungelebte Möglichkeiten unseres Lebens freizusetzen.
Statt die Krise nur zu bejammern oder zu bekämpfen, sollten wir vielmehr die Chance ergreifen, die in ihr verborgen liegt. Vor welchen Chancen stehen wir, wenn wir an die Krise der Kirche denken? Welches sind die"Lebensmöglichkeiten" der Kirche, die es inmitten der Krise zu entdecken und freizusetzen gilt?
2. These: Zur reformatorischen Mitte zurückkehren
Dieses Bild ist nur eine Karikatur, ein Zerrbild von Kirche. Es war nie mein Bild und wird es auch nie sein. Kirche gefangen und in sich selbst verstrickt in einem Netz von Ordnungen, Regeln, Gesetzen, Paragrafen, Bestimmungen und Ausführungsbestimmungen, Kirchenrecht und Synodale Verfassung. Das war uns das ist nicht mein Bild von Kirche und wird es auch nie werden.
Obwohl, bevor ich mich zu sehr hineinsteigere in dieses Zerrbild und mein persönliches Feindbild von Kirche. Von der Öffentlichkeit ziemlich unbemerkt hat die Hannoversche Landeskirche seit dem 1. Januar 2020 eine völlig neue Verfassung. Und diese Verfassung wurde nicht von oben nach unten verordnete, sondern es gab einen langen Entstehungsprozess, an dem sich jeder von uns hat beteiligen können.
Und ich finde, das Ergebnis dieser neuen Verfassung ist gar nicht mal so schlecht. Gleich zu Beginn heißt es dort ziemlich grundlegend:
"Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers trägt Verantwortung für die Erhaltung und Förderung der Verkündigung des Wortes Gottes und der Feier der Sakramente gemäß dem Evangelium.
Durch das Evangelium ist sie berufen zum öffentlichen Zeugnis, zum Dienst der Nächstenliebe und zur Gemeinschaft der Kirche.
Das Evangelium wird verkündigt und bezeugt vor allem durch Gottesdienst, Gebet, Kirchenmusik, Mission, Seelsorge, Diakonie, Bildung und Kunst sowie durch die Wahrnehmung der kirchlichen Mitverantwortung für Gesellschaft und öffentliches Leben."
Da ist doch sicher für jeden etwas dabei auch für jeden von uns etwas, das uns besonders anspricht. Klar, in einer Kirchenverfassung ist"alles irgendwie wichtig," und es muss ja auch erst noch interpretiert und gewichtet werden. Und da werden dann, wie wir wissen, faktisch doch sehr unterschiedliche Akzente gesetzt. Ich sage mal etwas verschlüsselt so zwischen Eime und Gronau. Richtig gut finde ich hingegen, dass die neue Verfassung ausdrücklich auch Bezug nimmt nicht nur auf die luth. Bekenntnisschriften, sondern auch auf die Barmer theologische Erklärung der "Bekennenden Kirche" von 1934.
Und die beginnt mit den berühmten Worten:"Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben." Dieses eine Wort war und ist die reformatorische Mitte, die es klar und deutlich und unmissverständlich zu benennen und neu zu entdecken gilt.
3.These: Das Priestertum aller Gläubigen leben
Luthers Lehre vom"allgemeinen Priestertum" oder auch vom"Priestertum aller Gläubigen" ist das Wichtigste, was uns heute noch vom Katholizismus unterscheidet. Die katholische Kirche in Deutschland hat ja endlich den lang angekündigten Prozess eines"synodalen Wegs" begonnen. Man kann sich das bei Youtube anschauen, wie dort sogenannte"Laienchristen", und tatsächlich auch"Christinnen" mit richtigen, leibhaftigen Bischöfen in einem Saal versammelt sind. Und man kann miterleben, wie sie sich freimütig und sehr emotional die Meinung sagen. Einige Bischöfe starren unentwegt in Richtung Tischkante und glauben, das Jüngste Gericht sei nahe herbei gekommen.
Es tut mir leid, das sagen zu müssen: Da war Martin Luther vor 500 Jahren schon erheblich weiter.
"Jeder getaufte Christ ist ein Priester" – so sein Mantra. Und der Pietismus betonte 200 Jahre später:
"Jeder gläubige Christ ist ein Priester oder eine Priesterin". Jeder Christ soll die Bibel selbst lesen und verstehen. Und jeder ist in dem, wie er glaubt und was er glaubt, nur Gott gegenüber verpflichtet, aber keinem Menschen.
Es geht hier also nicht um ein Prinzip, schon gar nicht um Rechthaberei, so nach dem Motto:
Die Katholiken haben einen Papst.
Die Evangelischen haben viele Päpste.
Und bei den Evangelikalen ist jeder Papst.
Es geht vielmehr darum, bei den Menschen eine neue Liebe zur Heiligen Schrift zu wecken.
Damit sich jeder ein eigenes Urteil über die Lehre der Kirche bilden kann. Und es geht auch nicht allein um die Lehre, sondern auch sehr konkret um den Gemeindebau. Da gibt es viele Berufe, wie man auf unserem Bild unschwer erkennen kann. Viele Begabungen, viele Fähigkeiten."Gabenorientierte Gemeindearbeit", das wäre doch ein Traum. Jeder und jede ist wichtig, jeder und jede wird von Gott gebraucht. Der eine hat diese Gaben und Fähigkeiten, die andere jene. Was übrigens auch von uns Pastoren gilt. Auch Pastoren können bisweilen einige Dinge erstaunlich gut. Doch andere Dinge sollten sie vielleicht doch lieber anderen überlassen, die es besser können.
Das führt wie von selbst zu der nächsten These:
4. These: Gemeindeleitung neu definieren
In der evangelischen Kirche laufen – entgegen ihrem eigenen Selbstverständnis – nahezu alle Fäden auf das Pfarramt zu. Was in der Vergangenheit dazu führte, dass manche Pfarrer sich eher als"Pfarr-Herr" gebärdeten. Auf der anderen Seite gibt es auch die Pfarrer und Pastoren, deren einziges Sinnen und Trachten darin zu bestehen scheint,"everybody‘s darling" zu sein, bei allen beliebt und bewundert. Sie kennen vermutlich nicht den Satz von Franz-Josef Strauß:"Everybody's Darling is everybody's Depp". Wer jedermann Liebling sein will, ist jedermanns Depp. Wie so etwas enden kann, sieht man unschwer auf dem Bild.
Pastoren, die immer nur das tun, was man von ihnen erwartet, verhindern den Gemeindeaufbau.
In der neuen Verfassung unserer Landeskirche steht darum der bedeutungsschwere Satz: "Die Kirchengemeinde wird durch den Kirchenvorstand und das Pfarramt geleitet." Das ist von der Kirchenleitung bewusst so gewollt, und unterscheidet eine Kirchengemeinde von jedem Verein.
In der Praxis ist das ein durchaus spannender und manchmal auch spannungsvoller, auf jeden Fall ein sehr mühsamer und anstrengender Prozess. Und doch sind beide Größen der Gemeindeleitung aufeinander angewiesen, ob es ihnen gefällt oder nicht.
Manchmal müssen Pastoren ihre Kirchenvorstände daran erinnern, dass es in all unserem Tun und Lassen letztendlich um die glaubwürdige Verkündigung des Evangeliums geht. Manchmal müssen Kirchenvorstände auch ihren Pastor oder ihre Pastorin genau daran erinnern, sie dazu auffordern.
Im Idealfall ermutigen und inspirieren sich beide gegenseitig, die Pastoren ihre Kirchenvorstände, und die Kirchenvorstände ihre Pastoren. Im Neuen Testament werden Gemeinden übrigens von Teams geleitet.
Woran erkennt man somit einen guten Pastor?!
Antwort: An der Mündigkeit seiner Gemeinde!
Ich gebe zu, dass mir diese Aussage angesichts des bevorstehenden Ruhestands ein wenig leichter fällt. Aber vielleicht lautet die Formel für die Zukunft unserer Kirche ja tatsächlich: Der Pastor für die Mitarbeiter, und die Mitarbeitenden für die Gemeinde.
5. These: Geistliches Leben ermöglichen
Man könnte auch sagen:"Spiritualität freisetzen".
Wir saßen erst am Donnerstag der vergangenen Wochen beieinander, um den Glaubenskurs im März vorzubereiten und zu planen. Behütet - umsorgt – gesegnet, so lautet das Motto. Dabei waren wir uns einig: es soll dabei weniger um unseren Kopf gehen, als um unser Herz. Also auch um zutiefst geistliche, spirituelle Fragen wie"Segen" und"Gebet".
Ich las einmal den Satz:"Das größte Problem der Kirche ist nicht die äußere Form, sondern der fehlende Funke." Und wenn es tatsächlich einmal zu einem echten geistlichen Aufbruch in der Kirche kam, wie etwas in den Zeiten des Pietismus, von dem wir vor zwei Wochen gehört haben, oder in den Zeiten der Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert. Dann hat die offizielle Kirche sich immer wieder mit großer Vorliebe als Feuerwehr betätigt. Bloß die kleinen Flämmchen neu entfachter Frömmigkeit schnell wieder löschen, bevor am Ende daraus noch ein Flächenbrand wird. In Augsburg gibt es ein Gebetshaus, wo Tag für Tag rund um die Uhr gebetet wird. Der leitende Geistliche Johannes Hartl ist übrigens Katholik, aber das spielt dort überhaupt keine Rolle. Zur letzten"Mehr- Konferenz" kamen 12 000 Teilnehmer. Da bricht etwas auf, was die offiziellen Kirchenleitungen nur mit Ratlosigkeit und mit Argwohn zur Kenntnis nehmen. Wir haben eingangs gehört, dass die meisten gesellschaftlichen Millieus von der Kirche heute überhaupt nicht mehr erreicht werden.
Ich bin davon überzeugt, dass dies anders wäre, wenn die Kirche den Menschen wieder das gibt und ermöglicht, was sie eigentlich von der Kirche ersehnen und erhoffen - geistliches Leben, das die Seele belebt und zu neuem Aufbruch befreit. Die Kirche der Zukunft muss"Brücke zur Transzendenz" sein,"Ort der Gotteserfahrung".
Der institutionelle Scheinriese Kirche ist in der Diesseitigkeit gefangen. Es wird Zeit, ihn daraus zu befreien. Die Spiritualität in unseren Gemeinden sollte von Hingabe, Begeisterung und Strahlkraft geprägt sein. Nur wenn wir selbst entzündet sind und"brennen", kann der Funke auf andere überspringen. Womit wir bei der nächsten These wären.
6. These: Den Missionsauftrag wahrnehmen
Eine Kirche, die nicht missionarisch sein will, verfehlt den Auftrag Jesu – und damit ihre Daseinsberechtigung.
Als Jesus ganz zu Beginn seine Jünger berufen hat, da fiel der großartige Satz:"Kommt, folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen." Und seine letzten Worte als Vermächtnis an die Kirche lauteten: "Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker!"
Die katholische Kirche spricht in diesem Zusammenhang völlig entspannt bis hin zum Papst von"Evangelisierung" der Welt.
In der Verfassung unserer Landeskirche klingt dies immerhin an, mit vornehmer Hannöverscher Zurückhaltung, wenn es dort heißt: "Alle Menschen sind eingeladen, das Evangelium zu hören, am kirchlichen Leben teilzunehmen und christliche Gemeinschaft zu erfahren." Während Jesus es als besonders liebevoll ansah, den Menschen das Evangelium weiterzusagen, hört man allerdings immer wieder die Meinung, es wäre liebevoller, wenn wir es ihnen verschweigen. Natürlich ist die Geschichte der Mission auch eine sehr leidvolle und belastete Geschichte, eine Geschichte voller Gewalt und Intoleranz.
Ich persönlich bin jedoch der Meinung, dass sich Toleranz und Mission nicht widersprechen.
Wichtig ist, dass wir die Menschen dort abholen, wo sie sind, uns auf die Menschen einlassen, so wie sie nun einmal sind. und auch, wie sie im Laufe des Lebens geworden sind, oft auch durch negative Erfahrungen mit Kirche. Wir können nicht erwarten, dass sich die Menschen neu auf Christus einlassen, wenn wir uns nicht auf sie einlassen.
Ein gutes Motto für die Kirche der Zukunft könnte darum lauten:"Nahe bei Christus" und"nahe bei den Menschen"!
Der frühere Landessuperintendent des Sprengels Osnabrück, Burkhard Krause, war einer der wenigen Kirchenleitenden, deren Herz nicht nur für die Mission, sondern auch für missionarischen Gemeindeaufbau geschlagen hat. Er hat einmal in Anlehnung an Fulbert Steffensky formuliert:
"Die Kirche ist zukunftsfähig, wenn sie der Wahrheit, aus der sie lebt, selbst viel zutraut, dem Glaubensthema neu Priorität gibt und mutig zeigt, was sie liebt." "Mutig zeigen, was man liebt" – das ist Mission!
7. These: Den Gottesdienst losketten
Wenn man wie ich mit großen Schritten auf den Ruhestand zugeht, dann zieht man auch Bilanz.
Manche Überzeugungen haben sich geändert im Laufe der Jahre, aber manche sind auch geblieben.
Geblieben ist bei mir trotz gegenteiliger Erfahrungen die Liebe zum Gottesdienst.
Ich finde es darum großartig, dass es auch hier in unseren Gemeinden im Leinebergland überall eine kleine Schar von Menschen gibt, denen es am Herzen liegt, dass lebendige Gottesdienste gefeiert werden. Mit wieviel Fantasie und Liebe werden Gottesdienste oft vorbereitet, auch ein Gottesdienst wie dieser. Mit wieviel Liebe und Leidenschaft proben und üben Organistinnen und Organisten ihre Stücke an der Orgel. Auch das soll einmal wertschätzend gesagt werden.
Und doch gehört zu meiner rückblickenden Bilanz auch die sehr nüchterne Erkenntnis:
Der Satz"Unsere Gottesdienste sind für alle da!" ist nichts anderes als frommer Selbstbetrug. Der Gottesdienst, der früher einmal ein Angebot für alle war, ist eine Nischenveranstaltung geworden. Dafür braucht man keine Millieuforschung, sondern einfach nur offene Augen. Die Millieuforschung aber lehrt uns, dass wir nur dann Menschen durch unsere Gottesdienste erreichen, wenn wir deren Lebensgefühl ansprechen.
Und dazu müssen alte Zöpfe einfach abschnitten werden, und ohne Frage auch mancherlei Ketten gesprengt werden.
Gerade in der vergangen Woche gab es eine Mail von Günther Werner von der katholischen Kirche in Duingen, darin konnte man lesen: "Wir brauchen neue Wege, um die Botschaft Jesu den Menschen heute nahe zu bringen. Vielleicht kann das mit besonderen Gottesdiensten, die sehr verschieden gestaltet und akzentuiert sein können, geschehen. Besondere Akzente könnten sein: Musik, Besinnung, Bewegung, themenzentriert"
Die nähere Zukunft des Gottesdienstes liegt in einem mehrgleisigen Gottesdienstkonzept. Und wenn das eine einzelne Kirchengemeinde nicht alleine hinbekommt, dann muss man es eben gemeinsam tun. Grenzüberschreitend und regional, und gerne auch ökumenisch, das kann sehr bereichernd und inspirierend sein.
8. These: Überschaubare Strukturen schaffen
Einer meiner Lieblingssätze lautet:"Was nicht einfach geht, geht einfach nicht."
Das gilt nicht nur von der Predigt, sondern auch von den Strukturen der Kirche.
Die äußeren Strukturen und Formen von Kirche und Gemeinde sind keineswegs das Entscheidende. Und doch sind auch die Strukturen von enormer geistlicher Relevanz.
Es gibt Strukturen, die geistliches Leben behindern oder sogar verhindern, und es gibt Strukturen, die geistliches Leben fördern.
Was ist der richtige Weg in die Zukunft?
Immer größere Strukturen, am besten von Alfeld über Elze bis nach Gronau.?! Die katholische Kirche kann ein Lied davon singen. Oder sollte man das Gegenteil anstreben, eine Zersplitterung der Gemeinden, mit einer pastoralen Grundversorgung?!
Vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte. Es gibt kein Patentrezept, das von oben angeordnet werden könnte.
Die neue Verfassung der Hannoverschen Landeskirche plädiert sogar für eine große Vielzahl von Gemeindeformen, auch für Personalgemeinden, jenseits aller parochialen Grenzen. Wichtig ist, dass wir uns auf den Weg machen, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen. Suchend, fragend, betend, was unter den gegebenen Umständen die richtigen Schritte sind, auch struktureller Art.
Und wichtig ist, dass es dabei um ein echtes geistliches Ringen geht, nicht um Besitzstandswahrung.
Wer möchte, dass die Kirche bleibt, wie sie ist, möchte nicht, dass Kirche bleibt..
Das neutestamentliche Gemeindeleben hat zwei
gleichberechtigte Mittelpunkte: die gottesdienstliche Feier und die Hausgemeinschaft. Beides ist wichtig für die Zukunft. Wie sehr wünsche ich mir, dass in den vielen schönen Kirchen und Kapellen in unseren Dörfern so lange wie irgend möglich die Lichter brennen.
Und doch ist auch das wahr: Gott wohnt nicht in einem Gebäude, sondern da, wo Menschen wohnen. Die Häuser der Christen sind das beste Medium, dass Menschen zum Glauben kommen, im Glauben wachsen und ihren Glauben mit andern teilen.
Die Zukunft der Kirche wird darum zunehmend in Hauskreisen bestehen.
9. These: Eine Kultur der Liebe entwickeln
Es gibt und es gab unzählige Gemeindeaufbauprogramme.
Angefangen von den Büchern des legendären Herner Superintendenten Fritz Schwarz in der Zeit meines Vikariats bis hin zu den"fresh expressions of Church" in unserer Zeit. Aber wir sind ja schon lange in der Nachspielzeit meiner Predigt, oder sogar in der Verlängerung. Darum möchte ich nur noch das Eine sagen: Die Kirche der Zukunft ist der Ort, wo die Liebe Gottes sichtbar unter uns Gestalt gewinnt. Und die Gemeinde vor Ort sollt ein Ort sein, wo einer dem andern Flügel verleiht, statt sie ihm zu stutzen.
Es klingt so einfach und trivial, aber es ist so wahr: Liebevolle Gemeinden haben Zulauf. Nur liebevolle Gemeinden sind wirklich attraktiv! Wenn wir möchten, dass die Menschen liebevoller werden, müssen wir ihnen die Liebe Gottes zugänglich und erfahrbar machen.
Unsere Gemeinden sollen ein wohltuender Kontrast zur sonstigen Gesellschaft sein.
Ein"Brief Christi" in dieser Welt. So heißt es im Neuen Testament. Und ein Brief Christi ist immer - ein Liebesbrief Christi.
Klar, auch bei uns menschelt es manchmal sehr. Aber gerade deshalb ist die Liebe Gottes eine lebenslange und auch eine tägliche Aufgabe. Sie erfordert genau so viel Fantasie und Kreativität und Energie und auch Willenskraft, wie wir sie bisweilen in die Gestaltung von Gottesdiensten investieren.
Christliche Gemeinschaft ist weniger ein Ideal als vielmehr eine Aufgabe, die Gott uns stellt. Und das gilt auch für die Taten der Liebe nach außen hin. Das gilt auch für den Dienst am Nächsten. An der Liebe werden die Christen erkannt. So steht es schon im Neuen Testament.
Und Bonhoeffer prägte die berühmte Formel: "Kirche ist nur Kirche, wenn sie Kirche für andere ist."
Aber nun bin ich erschöpft. nach neun Thesen zur Erneuerung der Kirche. Ich lege den Hammer bzw. die Spraydose zur Seite. Für die letzte halbe These bleibt keine Kraft.
9,5. These: Die Kirche nach vorne träumen
So heißt diese halbe, unvollendete, noch offene These, die aber noch mehr als alle anderen Thesen in die Zukunft weisen. Und so bitte ich nun Sie alle um Ihre Mithilfe.
Danach folgte die Aktion "Die Kirche nach vorne träumen" aufzuschreiben und an den Heliumballon zu bnden.
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