Predigt zur Einführung der Kirchenvorsteher in Coppengrave von Pastor Podszus (03.06.2018)
04.06.2018
Predigt von Pastor Lothar Podszus über 1. Johannes 4,16, 1.Sonntag nach Trinitatis, 3.6.2018 anlässlich der Einführung des Kirchenvorstands in Coppengrave
Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Liebe Gemeinde,
warum hat der Mensch zwei Ohren?
Eine Antwort könnte lauten:
Damit das, was in das eine Ohr rein geht, durch das andere wieder raus geht.
Eine andere Antwort könnte lauten:
Damit wir ein besseres Gefühl haben für Raum und Klang.
Wir alle kennen den großen Unterschied, ob wir Musik in Mono oder aber in Stereo hören.
Doch wussten Sie schon, dass der Mensch nicht nur zwei, sondern vier Ohren hat?
Das behaupten zumindest die Psychologen im Blick auf die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren.
Wir können eine Nachricht mit vier unterschiedlichen Ohren hören: auf dem Sachohr, auf dem Selbstoffenbarungsohr, auf dem Beziehungsohr und auf dem Appellohr.
Ich will das an einem kleinen Beispiel erklären:
Eine Frau sitzt am Steuer des Autos und fährt.
Der Mann sitzt auf dem Beifahrersitz und sagt: "Die Ampel ist grün!"
Hört die Frau diesen Satz auf dem Sachohr, wird sie möglicherweise antworten: "Ja, hier ist schon seit einiger Zeit grüne Welle, das ist ganz angenehm".
Hört sie diesen Satz auf dem Beziehungsohr, wird sie sich gegen die Bevormundung wehren und möglicherweise antworten: "Fährst du oder fahre ich?"
Hört sie diesen Satz auf dem Selbstoffenbarungsohr, könnte sie mit den Worten reagieren: "Du hast es offenbar ganz schön eilig…"
Hört sie den Satz schließlich auf dem Appellohr, wird sie einen Gang runter schalten und Vollgas geben.
Wir unterschiedlich kann man doch ein und denselben Satz hören.
Und manchmal wäre es sehr hilfreich, sich diese vier Ebenen bewusst zu machen, damit Kommunikation besser gelingt.
Gilt das auch für das Hören des Wortes Gottes?
Lasst uns das doch einfach mal ausprobieren. Der Satz, um den es geht, steht in der Bibel, also in dem Wort, durch das Gott zu uns spricht. Es ist einer der schönsten Sätze der Bibel.
Auf den ersten Blick einer der einfachsten und klarsten Sätze der Bibel. Auf den zweiten Blick auch einer der schwersten Sätze der Bibel. Aber wir sind nun ja gut vorbereitet, ihn nicht nur auf einem Ohr, sondern auf allen vier Ohren zu hören.
Der Satz lautet: Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Hören wir diesen Satz erstens auf der Sachebene. Ich könnte mir denken, dass bei einigen von Ihnen sofort der Einwand kommt: Kann man denn rein sachlich über die Liebe reden?
Stellen Sie sich vor, eine Frau fragt ihren Mann: "Liebst du mich noch?"
Daraufhin der Mann: "Ja, weißt du, da müssten wir erst einmal den Begriff ‚Liebe‘ definieren, da kann man ja nun sehr viel drunter verstehen…"
Ich überlasse es Ihnen sich auszumalen, wie das Gespräch wohl weiter geht…
Auch im Blick auf die Liebe Gottes wäre es nicht wirklich sachgemäß, diese Liebe zu definieren…
Ich habe durchaus Freude an Sätzen wie: "Die Liebe Gottes ist das Ereignis von Leben und Tod zugunsten des Lebens".
Und ich finde es schon wichtig, zu wissen, dass im Neuen Testament drei unterschiedliche Wörter für die Liebe gebraucht werden:
Das Wort Eros für die geschlechtliche Liebe, das Wort Philia für die freundschaftliche Liebe und das Wort Agape für die göttliche Liebe.
Ich denke auch, dass es wichtig ist, alle drei Formen der Liebe zu unterscheiden…
Obwohl sie möglicherweise mehr miteinander zu tun haben als manch einer meint…
Liebe, so hat es einer meiner theologischen Lehrer einmal formuliert, ist "das Ereignis einer inmitten noch so großer und mit Recht noch so großer Selbstbezogenheit immer noch größere Selbstlosigkeit."
Und das gilt, wie mir scheint, für alle drei Formen der Liebe.
Aber ich spüre, wie die ersten von Ihnen beginnen, das Sachohr langsam zu verschließen…
Ihnen geht es vermutlich wie jener Frau, deren Mann ihr erst einmal das Wesen der Liebe "definieren" wollte. Die Frau versuchte es noch einmal ganz zaghaft mit den Worten: "Ich wollte doch nur wissen, welche Gefühle du mir gegenüber hast…"
Daraufhin der Mann: "Nun, Gefühle – das sind ja zeit-variable Phänomene, darüber gibt es keine generellen Aussagen …"
Ich denke, es wird also höchste Zeit, das zweite Ohr ins Spiel zu bringen, das Selbstoffenbarungsohr…
Was erfahren wir über Gott, wenn wir den Satz hören: "Gott ist Liebe!" auf dem Selbstoffenbarungsohr hören.
Zunächst einmal erfahre ich in diesem Satz, dass Gott ein persönlicher Gott ist. Und das ist etwas völlig anderes als ein Prinzip, und sei es das Prinzip Liebe.
Kürzlich las ich den Satz: "Wenn wir unser Ohr an die Bibel halten, dann hören wir Gottes Herz schlagen."
Damit ist nicht gesagt, dass das Studieren des Wortes Gottes nicht wichtig ist. Es kann sogar sehr sinnvoll sein, Worte der Bibel auswendig zu lernen. Aber dann doch bitte so, wie es die englische Sprache uns nahelegt: "learning by heart".
Und das bedeutet: So unser Ohr an die Bibel halten, dass wir Gottes Herz schlagen hören.
Und dieser Herzschlag ist der Herzschlag der Liebe.
Doch bevor sich bei Ihnen innerer Protest und innerer Widerstand anmeldet, möchte ich klarstellen: Der Herzschlag der Liebe Gottes ist etwas anderes als ein rein romantisches Verständnis von Liebe, das vor allem die schönen Gefühle meint. Der Herzschlag der Liebe Gottes erweist sich für uns Christen an einem einzigen Ort, und das ist das Kreuz.
Dort offenbart sich für uns die "Liebe Gottes".
Dort offenbart sich für uns "der Gott der Liebe".
Dort offenbart sich für uns "Gott als Liebe".
Wie viele Menschen haben eine große innere Not, an die Liebe Gottes zu glauben, im Angesicht von so viel Not und Elend in dieser Welt. Doch Gott offenbart sich in Jesus Christus als derjenige, der uns nicht mit ein paar klugen Gedanken über die Ursachen und den Sinn des Leidens abfertigt. Sondern der zu uns herabsteigt, auch in die tiefsten Tiefen des Leidens dieser Welt. Und auch in die tiefsten Abgründe der Sünde und des Bösen dieser Welt.
So und nicht anders hat Gott sich in Jesus Christus offenbart. Und ich füge hinzu: So und nicht anders hat Gott sich in Jesus Christus definitiv offenbart, allen Definitionsversuchen der Menschen zum Trotz.
Und da kommt nun auch das dritte Ohr ins Spiel. Versuchen wir einmal, den Satz "Gott ist Liebe" auf dem Beziehungsohr zu hören.
Ich denke noch einmal an jene Frau, deren Mann ihr die Liebe definieren wollte. Wie anders wäre das Gespräch verlaufen, wenn der Mann begriffen hätte, dass seine Frau mit ihrer Frage einzig und allein und ausschließlich (!) die Beziehungsebene gemeint hat.
Wenn sich nun Gott in seinem Wort uns als der Liebende zu erkennen gibt…
Wenn sich nun Gott in seinem Wort uns als der Liebende "offenbart", dann möchte auch er in eine Beziehung zu uns treten.
Ich denke, es ist nicht zu viel gesagt: Schon als Gott den Menschen geschaffen hat, hat er dies getan aus Liebe. Denn Liebe leidet, wenn sie kein Gegenüber hat. Liebe leidet, wenn sie nicht erwidert wird. Liebe braucht Beziehung, und wenn irgend möglich eine Nahbeziehung, keine Fernbeziehung.
Wie steht es um unsere Beziehung zu Gott?
Haben wir, wenn wir einmal ehrlich sind, überhaupt eine innere Beziehung zu Gott?
Und wenn ja: Pflegen wir eine eher distanzierte Fernbeziehung, oder aber eine Nahbeziehung?
Es liegt im Wesen der Liebe, dass sie Nähe sucht. Es ist darum auch an uns, immer wieder neu die Nähe Gottes zu suchen. Im Vertrauen auf seine Zusage: "Wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, will ich mich von euch finden lassen." Man kann Liebe nicht machen. Das ist bekanntlich zwischen Menschen so, und das gilt nicht anders von der Liebe zu Gott. Auch die Liebe zu Gott kann man nicht "machen".
Aber vielleicht gilt auch im Blick auf die Liebe zu Gott, was jemand mal im Blick auf die Liebe zwischen Menschen gesagt hat: "Wir können Liebe nicht produzieren, aber vielleicht können wir Liebe… provozieren." Wie sehr wäre es mein Wunsch, dass dies in jedem Gottesdienst geschieht. Dass Menschen sich neu anstecken lassen von der Liebe Gottes.
Denn wodurch kann Liebe provoziert werden?
Nicht durch schlaue Gedanken, nicht durch kluge Definitionen, sondern ausschließlich – durch Liebe!
Und zwar durch Liebe in Wort und Tat.
Damit sind wir nun beim vierten Ohr angelangt, mit dem wir eingeladen sind, dieses großartige Wort zu hören: Gott ist Liebe!
Hören wir diesen Satz also ganz bewusst auch auf dem Appellohr!
Derselbe Theologe, den ich mit einer etwas anspruchsvollen Definition der Liebe zitiert habe, hat auch gesagt: "Der Satz: ‚Gott ist Liebe‘ ist nur dann ein wahrer menschlicher Satz, wenn Gott als Liebe unter Menschen Ereignis ist." Und darum sprach Jesus immer und immer wieder von der Nächstenliebe.
Wer aber ist unser Nächster?
Unser Nächster ist der Mensch, den Gott uns sozusagen "vor die Füße gelegt". Unser Nächster ist der Mensch, der unser Hilfe braucht: Unsern Beistand, unsere Fürsorge, unsern Rat, unsere Zeit, unsere Zuwendung, unser Geld, unsere Kraft, unser Nerven, unser Verständnis, unsere Geduld, kurzum: unsere Liebe. Das gilt für jede Form der Mitarbeit in der Gemeinde, auch für die Arbeit im Kirchenvorstand. Es ist schon viel gewonnen, wenn wir erst einmal die naheliegenden Aufgaben anpacken, die Aufgaben, die Gott uns vor die Füße gelegt hat. Lasst uns nicht schon das übernächste Projekt anvisieren, sondern erst einmal das Nächste, also das Naheliegendste. Dafür brauchen wir offene Augen, damit wir wahrnehmen, was nottut.
Und dafür brauchen wir offene Ohren, am besten alle vier:
Wir brauchen das Sachohr, um uns sachlich und fachlich kundig zu machen, so gut wir dazu in der Lage sind. Und wenn nötig, dürfen wir unser Sachohr auch gerne an den Telefonhörer drücken und das Kirchenamt um Hilfe bitten…
Wir brauchen das Selbstoffenbarungsohr, nicht nur, um uns der Liebe Gottes zu vergewissern. Sondern auch, um barmherziger zu werden mit der Art und Weise, wie andere mit uns reden und uns immer wieder begegnen.
Wir brauchen auch das Beziehungsohr. Denn Gemeindearbeit besteht nicht aus Fakten und Zahlen, sondern vor allem aus Beziehungen. Man könnte auch sagen aus "Beziehungsarbeit", und zwar im doppelten Sinne:
Die Beziehung zu Gott will gepflegt werden, und die Beziehung zu den Menschen will gepflegt werden.
Und darum brauchen wir immer wieder auch das Appellohr.
Lasst uns nicht diskutieren, dort wo Handeln angesagt ist.
Lasst uns stattdessen so reagieren wie jene Autofahrerin, von der wir in unserm Eingangsbeispiel gehört haben:
Lasst uns Gas geben, und nicht ängstlich auf der Bremse stehen, denn - die Ampel steht auf grün…
AMEN
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